Die Weihnachtsgeschichte


Nun waren sie schon den sechsten Tage unterwegs und es wollte kein Ende nehmen. Ganz langsam nur konnte der Esel sie durch die hügelige Steinwüste Richtung Betlehem tragen. Bei Tag die Hitze in der stechenden Sonne, die Kälte in der Nacht. Immerhin wurde die Landschaft inzwischen etwas grüner. Hier und da konnte man sogar schon eine Schafherde beim Grasen sehen. Was für ein Unterschied zu ihrer Heimat in Nazaret ,wo zu dieser Jahreszeit kaum etwas Grünes wachsen konnte.
Da, wieder so ein stechender Schmerz im Unterleib. Vielleicht wäre sie doch besser wegen der Schwangerschaft daheim geblieben. Josef wird den Esel noch langsamer führen müssen. Auf keinen Fall wollte sie jetzt vor Ende der Reise irgendwo am Strassenrand ihr Kind zur Welt bringen müssen. Wenigstens zur nächsen Unterkunft sollte es doch noch langen. Aber diese drückende Hitze und die Sonne setzen ihr mehr und mehr zu. Trotz des Tuches vor Mund und Nase und um den Kopf war es fast unerträglich. Immer wieder musste Josef die eh schon langsame Reise anhalten und ihr zu trinken reichen. So konnte man einfach nicht vorwärts kommen.
Ja, wenn man reich wäre.... Dann hätte man sich ein Kamel leisten können. So eines mit einem geflochenen Korb auf jeder Seite, in dem man bequem sitzen kann. Damit wäre man viel schneller und bequemer vorwärts gekommen. Vielleicht hätte man die Strecke sogar in nur 3 Tagen geschafft. Aber so? Hochschwanger auf einem Esel? Das konnte doch nichts werden. Sie waren halt arm. Klar, ihr Mann war Zimmermann, der einzige im Dorf. Aber da das ganze Dorf sehr arm war, gab es nicht sehr viele Aufträge. Und von dem, was dann bei der wenigen Arbeit übrig blieb, holten die Steuereintreiber die Hälfte des Geldes ab. Da blieb kaum genug zum Leben übrig.
Bei der letzten Volkszählung durch die Römer, vor vierzehn Jahren, hatte ihr die Reise nach Betlehem noch grosse Freude bereitet. Aber damals war sie noch ein kleines Mädchen und so eine mehrtägige Wanderung mit den Eltern und der ganzen Familie hatte Spass gemacht. Aber heute? Bei der Hitze, dem Staub und den Schmerzen ? Das war keine Freude mehr.
Schon als der Ausrufer vom Gouverneur Quirinius ins Dorf kam und die Pflicht zur Zählung bekannt gab, ahnte sie, dass das nicht gut kommen würde. Aber es traf ja alle im römischen Reich. Und schliesslich würden sie ja „nur“ für die Steuer gezählt. Man hörte, dass in anderen Ländern die Männer gleichzeitig auch auf ihre Wehrtauglichkeit überprüft würden und manchmal sogar gleich für den Wehrdienst eingezogen würden. Immerhin bleibt ihnen das als Juden ja erspart.
Dahinten, in der Ferne, das musste ein Weinberg sein. Es war schon seit einiger Zeit immer grüner geworden. Jetzt konnte es nicht mehr weit sein. Heute noch würden sie ankommen. Endlich! Aber es war spät am Tag. Die Sonne stand schon recht tief und sie spürte wie es merklich kühler wurde. Da, wieder so ein Stich. Es wird wirklich Zeit, dass wir ankommen. Immer mehr Weinberge waren zu sehen, und dahinten schon die ersten Häuser. Fast ist es geschafft.

Als Josef den Esel durch das Tor der Karawanserei in den geschützen Innen-Bereich führt, herrscht auf dem quadratischen Hof ein reges Treiben. Viele Volkszählungs-Reisende waren auf den Strassen unterwegs und hatten hier, bereits vor ihnen, Stall und Unterkunft gefunden. Die Knechte des Wirtes verteilten in verschiedenen Ställen Heu und Stroh für die Tiere. Auf dem freien Innenhof hatten die Knechte ein Feuer entzündet und nun bereiteten verschiedene Reisenden ihr mitgebrachtes Essen dort zu. Die abendliche Sonne hatte noch viel Kraft, so dass Josef seine junge Frau als erstes an ein schattiges Plätzchen brachte. Wie sie so dalag, auf dem Stroh am Eingang zu den Ställen, bekam er Mitleid. Sie war doch noch so jung, irgendwo zwischen 17 und 19 Jahren. Und nun die Schwangerschaft und die beschwerliche Reise. Es war völlig klar ,dass ihr das alles zusetzte. Später suchte er dann in dem Durcheinander nach dem Wirt der Herberge. Im Eingang zum Haupthaus fand er ihn schliesslich, lautstark mit einigen Gästen am diskutieren, die ebenfalls ein Nachtquartier suchten. Als er an die Reihe kam, konnte er wohl einen Stallplatz für den Esel, aber keinen Platz für sie selber im Haus bekommen. Auch die anderen Möglichkeiten in dem kleinen Bauern-Dorf seien erschöpft, wusste der Wirt zu berichten. Sie würden wohl im Stall bei ihrem Reittier übernachten müssen. Als er zu seinem Esel zurück kam, war Maria inzwischen vor Erschöpfung eingeschlafen. Er würde ihr später diese unangenehme Überraschung unterbreiten. Die fünf Nächte in Notquartieren vorher waren schon schlimm genug gewesen. Maria hatte sich so sehr gefreut diese Nacht wieder ein gutes Nachtlager in einer Herberge zu haben. Doch nun war hier alles überfüllt, so dass sie auf dem Stroh in den Stallungen schlafen mussten. Er schämte sich fast ein wenig, dass er seiner Frau nichts besseres bieten konnte, dabei nahm sie alles so klaglos hin.

Später, als sie am frühen Abend ihr Nachtessen eingenommen hatten und es immer dunkler wurde, legten sie sich früh schlafen. Die Erschöpfung des Tages war dem Paar anzusehen und der Nachtschlaf würde ein wenig Erholung spenden. Ausserdem würde die Kälte der Nacht sehr bald zunehmen und dann würde das Einschlafen nicht so leicht gelingen. An diesem Abend lag Josef noch lange still im Stroh und konnte trotz der Erschöpfung nicht so recht einschlafen. Draussen am Feuer standen noch einige Reisende, offensichtlich Männer. Sie tranken Wein und diskutierten lautstark und verärgert über die immer wiederkehrenden Volkszählungen. Alle vierzehn Jahre rief der Kaiser in Rom seine Untertanen zu Zählung und damit zur Steuerschätzung und zur Wehrtauglichkeitsprüfung. Bei der letzten war Josef noch ein junger Knabe gewesen, aber er konnte sich noch ganz dunkel erinnern, das es nach der Volkszählung zu Ausschreitungen gekommen war und die römischen Legionäre eingegreifen mussten. Hoffentlich kommt es nicht zu solch wüsten Szenen. Als die Stimmen am Feuer schliesslich leiser wurden ,konnte er auch einschlafen.
Einige Zeit später, so spät war es noch gar nicht, wurde er von seiner Frau angestossen: „Wach auf, es geht los“. Maria war von ihrer Mutter und den anderen jungen Frauen in der Familie instruiert worden, was sie zu machen habe. Auch die Frau des Wirts und andere Frauen von Reisenden in der Herberge hatten mitbekommen, das eine Hochschwangere unter ihnen war. Sie wurden kurzerhand verständigt, so dass sie nach einiger Zeit ihren Erstgeborenen in die Arme des Mannes legen konnten. Sie legten das Kind, dick in Windeln eingepackt in die Futterkrippe an der Wand. Dort ist durch das Heu als Unterlage schön warm und weich. Völlig erschöpft schliefen alle drei nach einiger Zeit ein.
Noch in der gleichen Nacht, das Feuer im Hof glühte nur noch leicht rot, gab es am Eingangstor einigen Tumult. Die Stimmen wurden laut, so dass Josef aufwachte. Seine Frau war ebenfalls bereits wach und kümmete sich leise um das Neugeborene. Von den Knechten des Wirts kam schliesslich einer zu ihnen und sagte: „Da stehen einige der Hirten draussen und suchen euch. Sie fragen nach der Familie, die heute Nacht ein Kind bekommen hat. Das seid doch ihr, oder?“ Josef bestätigte dies verwundert und ging mit dem Mann zum Tor. Nach einiger Zeit kam er mit einigen fremden Männern zurück. Diese wollten das Kind sehen und berichteten dann den verwunderten Eltern:“Heute Nacht, als wir die Schafe zur Ruhe gebracht hatten und die Wachen um das Lager Position bezogen hatten, stand plötzlich mittem im Lager ein grosser Engel. Er war so hell, dass es uns blendete. Wir mussten uns die Hände vor die Augen halten, um sie zu schützen. So etwas haben wir noch nie gehört und gesehen. Wir hatten Angst, richtig Angst ,und wären am liebsten davon gelaufen. Aber die Beine waren wie gelähmt. Da fing dieser strahlende Engel plötzlich an mit uns zu sprechen. Das hat uns dann noch mehr Angst gemacht. Seine Worte waren so laut wie Donnerschläge. Er sagte:
»Ihr braucht euch nicht zu fürchten! Ich bringe euch eine gute Nachricht, über die im ganzen Volk große Freude herrschen wird. Heute ist euch in der Stadt Davids ein Retter geboren worden; es ist der Messias, der Herr. An folgendem Zeichen werdet ihr das Kind erkennen: Es ist in Windeln gewickelt und liegt in einer Futterkrippe.«

Und dann waren da mit einem Male noch mehr Engel. Immer mehr, immer mehr. Die machten dann Musik und sangen dazu:
»Ehre und Herrlichkeit Gott in der Höhe, und Frieden auf der Erde für die Menschen, auf denen sein Wohlgefallen ruht.«

Wir standen dabei wie gelähmt und mit den Händen mussten wir die Augen schützen. Und dann – von einem Moment auf den anderen - war es wieder still und dunkel, so als wäre nichts geschehen. Zuerst konnten wir nichts sehen, erst das blendende Licht, dann die Dunkeheit. Als wir uns dann wieder an die Finsternis der Nacht gewöhnt hatten, waren die meisten von uns völlig verstört ,und so fragten wir uns gegenseitig: „Habe ich das geträumt oder hast du das auch gehört und gesehen?“ Doch alle im Lager hatten diese Erscheinung gesehen. Dann haben wir uns auf den Weg gemacht ,um dieses besondere Kind zu finden, das Gott uns geschickt hat. Wir möchten den Messias gerne einmal sehen.“ So zeigte Maria ihnen ihren Erstgeborenen.
Etwas später, als die Hirten gegangen waren, und der Tag begonnen hatte, hörten Maria und Josef, dass die Hirten erst am Feuer, dann bei den Wächtern am Tor, einfach überall ,von dem Geschehen in der Nacht erzählt hatten. Es verbreitete sich wie ein Feuer in einem ausgetrockneten Busch: „Der Messias ist geboren worden“.

Die Weihnachtsgeschichte als historische Nacherzählung von Frank Vornheder


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